Hygge in Dänemark – dänische Lebensart
Dass Hygge bereits Eingang in den Duden gefunden hat, das blieb selbst eingefleischten Dänemark-Kennern verborgen. Im Sprachgebrauch der Skandinavier viel häufiger verwendet wird das passende Adjektiv, das schon beim Lesen und Zuhören seinen Charme entwickelt: hyggelig (wobei das letzte g nicht gesprochen wird). Hyggelig bedeutet gemütlich, behaglich, auch geborgen. Hygge ist das zugehörige Substantiv – es steht heute aber für mehr, nämlich für einen Lebensstil.
Hygge steht für einen Lebensstil
Bevor hyggelig resp. Hygge Eingang in den Duden fand, war es bereits Thema in den Feuilletons: keine deutschsprachige Zeitung von Rang, die in den letzten Jahren nicht einen profunden Artikel zum Thema Hygge veröffentlicht hat. Es gibt übrigens einen berühmten Werbespruch, der dem Thema mit den Weg bereitet hat: Ikeas »Wohnst Du noch oder lebst Du schon?« Die schwedische Möbelhauskette traf es auf den Punkt: Es geht darum, das Leben zu genießen.
Kontrapunkt zum schnellen Lebenstakt
Es gibt keine offizielle Liste, was Hygge ist und was nicht. Sich im Sommer im Freien aufzuhalten, möglichst in schöner Umgebung und etwas Angenehmes für sich zu tun, wie ein Picknick im Grünen, das ist Hygge; oder eine Radtour entlang der Küste, ohne Kilometer-Rekorde zu brechen; oder es sich im Ferienhaus richtig (!) gemütlich machen, bei Kaffee und Kerzenschein. Diese Beispiele verbindet, dass die Menschen sich Zeit nehmen – Hygge als Gegenteil vom schnellen Lebenstakt, nicht nur der Arbeitswelt, sondern auch von einem Zuviel an privaten Verpflichtungen.
Rückbesinnung aufs Vertraute
Hygge steht also für Genuss, für langsam im positiven Sinn. Mit beidem eng verbunden ist der Rückzug oder die Rückbesinnung auf Heimat, aufs Überschaubare, Vertraute, Private. Damit ist nicht allein die Familie gemeint, das können ebenso die heimatliche Straße, der Wohnort, die Region oder das Land sein. Eine Nation, die ihre Flagge dermaßen pflegt wie die Dänen ihren Dannebrog, ist prädestiniert für den Ursprung von Hygge; zumal sie über weitere Eigenschaften verfügt, die den Lebensstil vom bewussten Genießen befördern: Frohsinn und Geselligkeit.
Glückliche Menschen in Nordeuropa
Dass Hygge ein Thema für die Kulturexperten in den besagten großen Zeitungen wurde, das hatte einen konkreten Anlass: die alljährlichen Statistiken, wo die glücklichsten Menschen leben. Viele Jahre war es Dänemark, inzwischen ist es Finnland. Die Länder in den Spitzenpositionen – die Nordeuropäer und Schweizer – haben eins gemein: Es sind Nationen mit einem ausgeprägten Gemeinwesen, wo niemand tief durchs soziale Netz fallen muss. Wer nämlich drei Jobs braucht, um über die Runden zu kommen, wird keine Zeit für Hygge finden.
Kopenhagener Institut für Glücksforschung
Ja, das gibt es, das Happiness Research Institute in Dänemarks Landeshauptstadt. Und sein Chef, der den prägnant-nordischen Nachnamen Wiking trägt, darf längst als Bestsellerautor bezeichnet werden, der selbst in den USA eine hohe Auflage erreicht, um Hygge und Lykke (Glück) in Buchform zu erklären. (Was freilich nur beim aufgeklärten Teil dieser Nation ankam, wenn zum Beispiel auf Fox News das soziale Netz in Dänemark rasch zum Sozialismus umgedeutet wurde; dafür reichte es schon, sozusagen »umsonst« studieren zu dürfen.)
Das Glück ist kein Selbstläufer
Nun sollte der Glücksreport nicht dazu verführen, eine Jubelarie auf die Nordländer zu verfassen. Es gibt durchaus Unterschiede sowie Faktoren, die die Erkenntnisse der Glücksforscher relativieren, etwa die Rolle der sozialen Medien: Wer im Daueraustausch mit seinem Umfeld steht, mag leicht unter den Druck geraten, »immer gut drauf sein zu müssen«. Ferner ergaben Erhebungen in anderen nordischen Ländern, dass sich nicht wenige Menschen einsam fühlen – umsorgt das soziale Netz die Bürger, tritt es vermehrt an die Stelle der Verwandten oder Nachbarn.
Hygge als dänische Lebensart
Wer skandinavische Krimis im Stil des Nordic Noir anschaut, erlebt nicht nur spannende Fälle mit Lokalkolorit, sondern häufig auch eine verbreitete Einsamkeit, die selbst die Protagonisten als vermeintliche Helden erfasst. Die Erzählweise in düsteren Bildern ist durchaus auch als Kritik am Wohlfahrtsstaat zu verstehen. Wobei das mit der Einsamkeit im Fall der Schweden, Norweger und Finnen – dort wo viel weniger Menschen je Quadratkilometer leben als in Dänemark – merklich ausgeprägter ist; dort sind die Distanzen (nicht nur die räumlichen) größer, wird öfter geschwiegen.
Die Südländer des Nordens
Nicht dass es keine Einsamkeit in dänischen vier Wänden gäbe, aber häufiges Schweigen werden die Wenigsten mit Dänemark verbinden. Im Gegenteil, als »Südländer des Nordens« offenbaren viele Dänen einen Hang zu Witz, Frohsinn und Geselligkeit; sie lachen gern und wirken (zumindest in Gruppen) auf ihre nordischen Nachbarn mitunter laut bis schrill. Frohsinn und Geselligkeit sind jedenfalls beste Voraussetzungen, um es sich hyggelig zu machen, denn nur wer sich die Zeit für das gute Leben gönnt, kann das gute Leben auch genießen.
Das Picknick als Musterbeispiel für Hygge
Ob am Strand, im Park, Museumsgarten oder anderswo: Vielerorts sind Tische und Bänke platziert, wo die Leute ihr Mitgebrachtes verzehren können. Sie glauben gar nicht, was Dänen alles aus ihren Rucksäcken zaubern, um ein opulentes Buffet für die Beteiligten aufzutischen und bei munterem Geklöne zu vertilgen. Sollte ein Kiosk vor Ort geöffnet sein, sind eventuell die Getränke dort zu kaufen. Solange aber »medbragt mad kan nydes« gilt, dürfen sich die Ausflügler mit dem eigenen Essen verwöhnen, und das wird sich selten auf profane Butterbrote beschränken.
Lecker Smørrebrød = Freude am Essen
Butterbrot heißt auf Dänisch übrigens Smørrebrød, womit wir bei einem Top-Tipp der dänischen Gastronomie angelangt sind. Die Vielfalt an Belagvariationen fürs klassische Smørrebrød ist enorm, sie reicht von Fisch und Garnelen über Roastbeef, Tatar, Hacksteak, zu Käse und Salat, garniert mit Saucen und Kräutern. Heute überwiegen Tellergerichte ohne Auswahl der Zutaten. Dennoch ist das Smørrebrød ein Sinnbild für die Freude am Essen und Genießen, für Hygge als Lebensstil und Teil der dänischen Kultur.
Das mit dem Leben und dem Wohnen
Um auf Ikea zurückzukommen: »Lebst Du schon« meint ja, dass Möbel nicht nur benutzt werden, sondern dass man es sich darin bequem machen kann, ebenso dass Haushaltsgeräte nicht nur praktisch sein müssen, sondern auch schlck aussehen dürfen. Wer dem etwas abgewinnen kann, wird beim skandinavischen Design schnell fündig. Leuchten, Möbel und Haushaltshelfer dänischer Designer sind ein Begriff. Wobei es zugegeben ebenso hyggelig sein kann, sich mitten in urdänischen Gefilden in einem kratzigen isländischen Wollpullover auf einem italienischen Sofa zu fläzen.
Die Sache mit den Fremden
Trotz der Betonung von Heimat und Vertrautem gibt es also einigen Spielraum, um auch mit nicht-dänischen Accessoires zu Hygge und Glück im Kleinen zu gelangen. Das funktioniert durchaus mit fremden Sachen, mit fremden Menschen eher weniger. Die »Süddeutsche Zeitung« schrieb 2016: »Fremde gelten per se als „unhyggelig“ und werden in der Regel nicht auf die Couch eingeladen.« Das stimmt, betrifft aber weniger Sie als Ferienhausurlauber. Und wenn Sie aufpassen, werden Sie einiges an Hygge mit- und eventuell auch abbekommen. Es liegt viel an Ihnen selbst, denn – wie beschrieben – Hygge ist ein Lebensstil.
Hygge und Kultur
Das Smørrebrød weist den Weg. Es gibt weitere Merkmale, die sowohl der Hygge als auch der Kultur zugeordnet werden können und die stark mit Dänemark verbunden werden. (Die berühmten Hot Dogs mit der künstlich geröteten Haut nur bedingt, denn die stehen vor allem für die schnelle Zwischenmahlzeit, wobei man – nicht hyggelig – darauf achten muss, dass Röstzwiebeln und Saucen der Kleidung fernbleiben.) Nein, in vorderster Linie zu nennen sind Design und Architektur.
Innovative, lichte Wohnarchitektur
Wer in Kopenhagen im Stadtteil Ørestad oder entlang des Hafensunds unterwegs ist, bemerkt eine Vielfalt an Formen und Farben in der Wohnarchitektur. In Küstenstädten tut es zumeist ein Ausflug an den (früheren) Hafen, wo zeitgemäße Wohn- und Büroarchitektur die Industrieflächen abgelöst haben. Wobei die häufigen Glasfronten nicht der Geschmack aller sind, die auf Privatsphäre Wert legen. Doch spätestens seit Jørn Utzon die Oper in Sydney (1973) entwarf, ist dänische Architektur international ein Begriff. Selbst Ferienhäuser mit gutem Design können heute Unikate sein.
Dänisches Design
Tradition und Bekanntheit dänischen Designs sind noch älter, reichen von Keramik und Silber, Möbel und Leuchten bis zu Audio- und Küchengeräten. Frühzeitig zogen die beteiligten Branchen Künstler hinzu – oder Architekten, die Systematik und Kunst vereinten: So zählen die PH-Leuchten von Poul Henningsen ebenso zum historisch verbürgten Hygge-Repertoire wie Möbel von Arne Jacobsen, Kaare Klint und ihren inzwischen zahllosen Nachfolgern. Handbemaltes Porzellan von Royal Copenhagen war einst ebenso Trendsetter wie HiFi und TV à la Bang & Olufsen.
Ein weites Feld
Sie sehen, die Schnittmengen von Hygge und Kultur sind ein weites Feld. So könnte man auch die Mode nennen. Oder die in vielen Altstädten erhaltenen Fachwerkgassen, wo Grünes an den Fassaden rankt und Nippes in den Fenstern nostalgische Akzente setzt – als Symbol für Hygge, für langsames Leben. Allerdings, wenn wir schon bei dänischer Kultur angelangt sind, verdienen abschließend auch Abstecher in Kunst, Kulturleben und Geschichte ein wenig Aufmerksamkeit.
Kunst und Kultur erleben
Die jüngsten 250 Jahre Dänemarks sind reich an angesehenen Künstlern und großen Denkern: vom international gefragten Bildhauer Berthel Thorvaldsen über den Philosophen Søren Kierkegaard, den verschrobenen Märchendichter Hans Christian Andersen sowie zahlreiche Maler bis zu den heutigen Protagonisten der dänischen Filmwelt. 2021 erst hat Thomas Vinterberg für »Der Rausch« einen Oscar für den besten internationalen Film gewonnen – seit 1988 übrigens der vierte, eine enorme Auszeichnung für eine kleine Filmnation.
Früchte einer gezielten Kulturpolitik
Wobei erfolgreiche Filmregisseure wie Susanne Bier, Thomas Vinterberg und Lars von Trier oder Leinwandhelden wie Mads Mikkelsen und Sofie Gråbøl für eine Kunst stehen, die ohne aktive Kulturpolitik niemals diese Qualität (und Quantität) erreicht hätte. Das gilt ebenso für andere Kultursparten. Zur Förderung von Kunst und Kultur tragen neben dem Staat ferner Stiftungen und weitere Initiativen bei, zum Beispiel bei der Ausstattung von Museen oder als Festivalsponsoren.
Kultur soll für möglichst alle da sein
In Dänemark wird viel unternommen, damit Kunst und Kultur in der Breite der Bevölkerung ankommen. Herausragend ist die Vielfalt an Veranstaltungen, Festen und Festivals besonders im Sommerhalbjahr, dass Kultur in Volksfeste eingebettet ist und dass der Eintritt zu einigen Events und Museen frei ist (mitunter an einem bestimmten Wochentag). Ein weiteres Merkmal sind die Angebote von Museen, die eigens für den Besuch von Schulklassen konzipiert sind.
Kultur und Geschichte
Dass der Wikingerhelm unverändert ein beliebtes Accessoire dänischer Sportfans im Ausland ist, zeugt von einer gewissen Nachsicht gegenüber den bärtigen Vorfahren. Und es stimmt ja auch, diese waren nicht nur tumbe Mordbrenner, sie waren vor allem geschickte Schiffsbauer, weshalb sie Kurs aufs Mittelmeer oder zur Wolga nahmen, um dort erfolgreich Handel zu treiben. Keine größere Insel in Dänemark ohne sommerlichen Erlebnispark, wo Freiwillige wie einst die Wikinger zusammenleben und ihren Besuchern Handwerk sowie Kampftechniken demonstrieren.
Viele Schlösser und UNESCO-Weltkulturerbe
Vom Hochmittelalter bis Anfang des 19. Jahrhunderts redeten die Dänen in Europa ein gewichtiges Wort mit. Aus dieser Zeit stammen einige Burgen und noch mehr Schlösser, die teils gut bewahrt, teils zu besuchen sind. Sieben bedeutende dänische Orte fungieren als UNESCO-Weltkulturerbe, vom Nationalpark Wattenmeer an der Nordseeküste bis zum Dom in Roskilde, wo viele Könige ihre letzte Ruhe fanden.
Die Königsfamilie lebt mitten in Kopenhagen
Das Königshaus als Relikt jener machtvollen Jahrhunderte darzustellen, das wäre viel zu kurz gegriffen. Königin Margrethe II. regiert zwar nicht, für überflüssig halten ihre Landsleute die populäre Monarchin dennoch nicht. Die Royals leben mitten in Kopenhagen, mehr Bürgernähe geht nicht: Schloss Amalienborg besteht aus vier Adelspalais; eines davon ist sogar zu besuchen. Die größte Attraktion vor Ort ist aber die Wachablösung der Königlichen Leibgarde, die täglich um 12 Uhr auf dem jederzeit zugänglichen Schlossplatz stattfindet.
Woher stammt das Wort „Hygge“?
Hygge ist ursprünglich kein dänisches Wort. Es kommt aus der norwegischen Sprache.
Wie lange gibt es Begriff „Hygge“ im Dänischen?
Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Begriff auch in der Dänischen Sprache bekannt. Heute ist das Wort auch im Dänischen Duden zu finden.
Gibt es hyggelige Mahlzeiten?
Dänen sind Genießer. Das zeigt sich auch beim Essen und Trinken. Eine hyggelige Mahlzeit einnehmen bedeutet, manchmal über Stunden hinweg beieinander zu sitzen und die Gaumenfreuden und das Leben zu genießen.
Wie spreche ich Hygge aus?
Das Wort „Hygge“ können Sie als „hügge“ aussprechen. Achten Sie darauf, „hyggelig“ nicht als „hügelig“ zu vokalisieren, wobei das letzte g in „hyggelig“ ohnehin nicht ausgesprochen wird; die korrekte Aussprache lautet also „hüggeli“.
Hygge Fakten |
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Ursprung | Hygge stammt nicht von der dänischen Sprache ab, sondern aus dem alten Norwegischen, wo es in etwa „Wohlbefinden“ bedeutet. |
Auftreten | Der Begriff „Hygge“ erschien zum ersten Mal gegen Ende des 18. Jahrhunderts in dänischer Schrift und seitdem haben es die Dänen übernommen. |
Verwendung | Weihnachten ist die Hochsaison von Hygge. Aber das Wort Hygge wird das ganze Jahr für viele verschiedene Anlässe und Aktivitäten über verwendet. |
Unesco | 2018 gründete die nationale Tourismusbehörde VisitDenmark einen „Hygge Council“, um die Aufnahme der Hygge-Lebensart in die Unesco-Liste des „immateriellen Kulturerbes“ zu beantragen. |